Die Fragen stellte Doro Rinck

JEDER ATEMZUG HEISST JETZT!

1) In deinem Buch: „Triffst du Buddha, töte ihn“ machst du ja sozusagen einen Selbstversuch in Meditation und beschreibst deine Zustände beim stundenlangen Sitzen. Ihr wurdet angeleitet den Atem zu zählen. Aber wenn man Atemzüge zählt, ist das dann Meditation oder Konzentration? Wenn man zählt ist ja der Verstand mit dem Zählen beschäftigt und es ist keine Leere da, sondern der Kopf zählt.

A: Der Atem ist das „Augenblicklichste“, was wir haben, jeder Atemzug heißt JETZT. Ich atme, also bin ich, also lebe ich, also befinde ich mich im genau jetzigen Augenblick. Ich bin „da“, ich bin präsent, ich bin eins mit der Gegenwart. Das Zählen des Atems von eins bis zehn ist nur ein Hilfsmittel. Um unseren Kopf – diesen wilden Käfig rasend durcheinander schreiender Gedanken – ruhig zu stellen, ja, das Chaos in uns zu überlisten. Je geübter jemand meditiert, desto schneller kann er auf das Zählen verzichten. Er sitzt (meditiert) und beobachtet den Atem. Sonst nichts. Das ist ein magischer Vorgang, denn auf geradezu unheimliche Weise hilft es uns (WENN wir durchhalten), unser Durcheinanderleben zu ordnen. Und je gewiefter man das beherrscht, umso inniger kann man sich danach – im „richtigen Leben“, im Alltag – konzentrieren. Heute ist ein Großteil der Leute vollkommen unfähig, sich fünf Minuten lang auf EINE Sache einzulassen. Da wir rastlos von Meldungen aus der Nullgasse – via Handy, via TV, via Radio, via Presse, via Werbung – zugemüllt werden. Toxische Scheiße, die unser Gemüt, unser Denken vergiftet.

2) wie war deine Begegnung mit Osho in Pune? Und hast du Erfahrungen gemacht mit dem, was Osho den „Beobachter“ nennt? War Osho eine Inspiration für dich?

A: Ich mochte ihn, wie ich alle mag und achte, die ihr Hirn in Betrieb nehmen und mich bereichern, mich „geist-reicher“ machen. Viele kamen auf die Welt, um die Menschheit zu verblöden, hier aber war einer, der versuchte, uns dazu zu überreden, „bewusst“ zu werden, bewusst wahrzunehmen, bewusst zu denken, bewusst zu sprechen, bewusst zu handeln. Ja, für ein paar Wochen lang schwächelte ich und wurde „Sannyasin“, ein „follower“ von ihm. Aber sehr schnell habe ich die orangefarbene Kleidung wieder abgelegt, ich folge niemanden, ich will von allen, die Kluges reden, etwas mitnehmen, aber auch Bhagwan (später Osho) hat Sachen verlautbart, die nicht mit meiner Sicht der Dinge vereinbar waren. Ich bin kein „yes man“, der immer dann nickt, wenn der Meister spricht. Jede und jeder darf und muss kritisiert werden, wir alle sind nur Menschlein, wir alle machen Fehler. Von Offenbarungen weiß ich nichts. Wenn mir einer mit dem „Wort Gottes“ kommt (was Osho nicht tat), muss ich nur lauthals lachen. Kokolores, immer mit dem Hintergedanken serviert, dem Volk Angst und Gehorsam einzubläuen. Ach ja, das mochte ich auch an ihm: Er lästerte voller Witz über jede Art organisierter Religion.

3) In einem deiner Bücher habe ich gelesen, dass du auch jetzt noch regelmäßig meditierst. Welche Bedeutung hat Meditation für dich?

A: Eine rein technische Bedeutung, als geistig-körperliches Training, da ich weder an das Erleuchtungs-Gedöns glaube, noch irgendwo einen Herrgott suche. Ich meditiere, um mich gegen die tägliche Versuchung, geistig träge und dröge zu werden, aufzulehnen. Klar, ich will hin zur „onepointedness“, hin zu dem wunderlich bewundernswerten Können, mich auf EINES zu konzentrieren, sprich – ein Beispiel – vollkommen da zu sein, wenn ich jemanden zuhöre, sprich, ich schenke ihm das Kostbarste, was ich habe: meine Lebenszeit, ganz ausschließlich. Ich bin DA!

4) Wie stehst du zu der Aussage „alles ist gut so wie es ist“ Ist das für dich eine weltfremde Angelegenheit oder was denkst du, meinen die ZEN Leute damit? Dass man alles hinnehmen soll?

A: Zuerst einmal, die „ZEN-Leute“ kenn ich nicht, ich kenne auch keinen, der ZEN praktiziert, der dieses Blech verbreiten würde. Haha, Dummheit hat oft keinen Namen, es gibt allerdings noch einen Satz, der ist an Dämlichkeit nicht mehr zu toppen (und geht sinngemäß in dieselbe Richtung „alles ist gut…“), er stammt aus der Eso-Eselei-Schmiede unseres auf Schwachsinn abonnierten Paulo Coelho: „Es gibt nichts Gutes und nichts Böses.“ Himmel, wie muss einem die Birne weh tun, wenn man solche Sätze rauslässt. Natürlich ist weder alles gut, so wie ist, und natürlich gibt es Gutes und Böses. Ich vermute, dass Kinder missbrauchen nicht gut ist, und Menschen abschlachten böse ist, entsetzlich böse. Und dass Frauen und Männer, die sich dafür einsetzten, dass das Leid von Menschen ein bisschen erträglicher wird, durchaus „Gutes“ tun. Denn alles, was Menschen daran hindert zu leben, ist böse, und alles, was ihnen hilft zu leben, ist gut.

5) Was ist für dich der Unterschied zwischen Spiritualität und Religiosität? Gibt es den überhaupt?

A: Religion wurde erfunden – allen voran die zwei großen Monotheismen –, um das Leben der Menschen auf Erden zu miserabilisieren. Von der Verdummung gar nicht zu reden. Heilige Jungfrauen und den Herrn Herrgott oder den Herrn Allah haben wir nicht, wir haben nur Leute, die diese Herrschaften erfunden haben und damit gleichzeitig beispiellosen Wahnsinn über die Welt brachten. Wer hat mit mehr Horror die Menschheit heimgesucht als die mörderische Rechthaberei religiöser Dunkelbirnen? Ah, Spiritualität, das ist das Gegenteil, das wäre Respekt vor seinen Mitmenschen, der Verzicht auf geifernde, so oft todbringende Missionierung, Respekt vor der Natur, vor der Erde, das wäre die Einsicht, dass das Leben etwas ungemein Einmaliges ist, dass es geachtet und gehütet werden muss. Spiritualität könnte auch dazu beitragen, sein Ego einzuzäunen und Mitgefühl zu trainieren für all die, die unter die Räder kamen. Gewiss, jede Spiritualität, die nicht im Alltag ankommt, nicht alltagstauglich ist, hat diesen Namen nicht verdient.

6) Was hältst du von der Idee des Karma?

A: Nichts. Lässt man sich auf solche Gedankenspiele ein, landet man irgendwann unweigerlich auf der Rampe von Auschwitz. Und weiß dann natürlich, warum die Nazis ein paar hunderttausend jüdische Kinder – um nur ein Beispiel zu nennen – vergast haben: Die Gören und Bengel haben es sich selbst zuzuschreiben. Sicher waren sie früher – vielleicht im 18. Jahrhundert oder im Mittelalter oder als Zeitgenossen von König Herodes – Auftragskiller, Puffmütter, Hurensöhne, Waffenschmiede, gar Christusmörder. Sie haben Unheil gesät, jetzt ernten sie Zyklon B. Geht’s noch dümmer, noch anmaßender, noch erbarmungsloser? Wir haben keine „Gerechtigkeit“ im Weltall, dort gibt es keine „Moral“, es ist absolut „a-moralisch“. Ein Tsunami ist keine Strafe eines rasend gewordenen Weltenherrschers, sondern das Ergebnis geologischer Verschiebungen. Und wer sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufhielt, hat die Arschkarte gezogen.

7) gibt es in deinem Leben Überdruss?

A: Aber gewiss. Sicher auch aufgrund meiner Unzulänglichkeiten, sicher aufgrund der aberwitzigen Zielstrebigkeit, mit der wir unsere Welt totschlagen, sicher beim Anhören der schwungvollen Reden der Wachstumsnarren.

8) gibt es etwas wofür du dich politisch einsetzt?

A: Nicht direkt, ich schreibe eben Bücher. Ob sie zur Vermehrung von Hirnmasse beitragen, ich zweifle, haha.

9) du bist ja ein Weltreisender: kennst du das Gefühl von „zu Hause sein“?

A: Aber ja, Paris und Freunde und die deutsche Sprache und Literatur. Gewiss nicht das bigotte Spießerkaff, in dem ich geboren wurde.

10) Deinen Wohnsitz hast du ja in Paris. Warum gerade Paris und welche Bedeutung hat diese Stadt für dich?

A: Aber ja, ich bin jeden Tag närrischer verliebt in diese Stadt. Die Gründe, grundsätzlich: Ich bin gern Fremder, den typischen Heimatdusel kenne ich nicht. Und wie bereits erwähnt, ich wollte – nach vielen Umwegen über andere Kontinente – da leben, wo es im Gegensatz zu meinem Geburtsort nicht nach Hirnlosigkeit, Heuchelei, Kindsmissbrauch, Katholizismus, Prügelstrafen und Ausweglosigkeit roch. Logischerweise kam ich in Paris an. Ach ja, noch ein Grund: Ein Kritiker nannte mich einmal einen „widerlichen Ästheten“, er wollte damit sagen, dass ich – wie ungehörig – zu sehr auf „äußere Werte“ achte, haha, wie recht das Würstchen hatte: Ich liebe Paris auch deswegen, weil es jeden Tag mit seinen Tausenden von grandiosen (äußeren) Werten protzt.