Ihr Lieben,

ich habe mit mir gekämpft und bin gescheitert, Denn ich kann mir meinen Senf zu Charlie Kirk nicht verkneifen. Kein Senf wird den Zustand der Welt verbessern, aber mir geht es dann besser. Nicht viel, aber ein bisschen.

 

Mister Kirk, 31 Jahre, Amerikaner, best buddy of Trump, ultrarechtsaußen Influencer, radikaler Komplotist und nicht unbegabter Hassprediger, wurde am 11. September auf dem Campus der Utah Valley Universität erschossen.

 

Kirk hat so ziemlich alles gehasst, was nicht weiß, nicht amerikanisch, nicht erzchristlich und nicht hetero war. Das muss der Grund gewesen sein, warum Trump ihn einen „martyr for truth and freedom“ nannte.

 

Die Sprache, die alte Hure, sie treibt es mit jedem.

 

Man könnte Bücher füllen mit dem bizarren Gedankengut von Charlie Kirk. Ich will nur einen seiner brandstiftenden Vorschläge vorstellen. In einer Episode seiner „Charlie Kirk Show“ forderte er, dass „Todesurteile öffentlich, schnell und in Echtzeit im Fernsehen übertragen werden“. Kindern ab 12 sollte erlaubt sein, beim Hinrichten zuzuschauen.

 

Als ich das las, dachte ich: Siehst du, Charlie, du hättest dir nie träumen lassen, dass du der Erste sein wist, der öffentlich, schnell und live übertragen im Fernsehen hingerichtet wird.

 

Remember, Charlie Kirk: Wer Hass säht, kommt oft durch Hass um.

 

Der Satz stimmt natürlich nur bedingt, denn wir haben eine Reihe weltbekannter Hasser – ob sie nun in Moskau, Washington oder Tel Aviv hassen –, die sich noch immer bester Gesundheit erfreuen. Sehr unerfreulich.

+++

 

Hier noch ein Textlein aus meinem letzten Buch, „Sehnsucht Leben“. Die Szenen passierten in Peschawar, einer pakistanischen Grenzstadt zu Afghanistan. So ist das wohl auf der Welt, die einen hassen, die anderen heilen.

 

SEHNSUCHT LEBEN

 

Paschawar / Elend und Größe des Menschen

 

„… Dieser Anblick war die eher leichte Einstimmung auf die Bilder, die einen Besucher im Rehabilitationszentrum erwarten. Es wird hauptsächlich vom Roten Halbmond finanziert, aber westliches Geld und medizinisches Personal aus Europa helfen mit, dieses irdische Fegefeuer zu bewältigen. Ein Satz von William Faulkner fällt mir ein: »If you saw all the suffering in the world in one go, you would go blind«, würdest du alles Leid der Welt auf einen Schlag sehen, du würdest erblinden. Ich werde standhalten, doch bisweilen die Augen schließen. Um sie auf den nächsten Schrecken vorzubereiten.

 

Der afghanische Chirurg Dr. Afridi führt mich herum. Er ist für die Behandlung von 18 Frauen und 82 Männern verantwortlich, für die Opfer des Kriegs und des folgenden Bürgerkriegs in seinem Land: Schwerverwundete, von denen viele auf dem Bauch liegen, weil zu ihren ersten Traumata (Schusswunden, Verbrennungen, geistige Verwirrung) neue Qualen hinzukamen: jene faustgroßen, über zehn Zentimeter tiefen Löcher in ihren Hintern, verursacht vom tagelangen Mauleseltransport hierher. Wobei das Fleisch der Unbeweglichen »verfaulte« und abstarb. Für sie alle sind langwierige Hauttransplantationen vorgesehen.

 

Wer Glück hat, kann sitzen – im Rollstuhl. Andere, die ohne Glück, liegen: festgezurrt, links der Urinbeutel und auf grausame Weise von Kinn bis Fuß schmerzfrei – da vom Hals abwärts gelähmt.

 

Viele brauchen Zeit, um zu verstehen. Was ihnen zugestoßen ist. Manche verstehen nie. Sie bekommen Psychopharmaka, um ihr verzweifeltes Herz zu besänftigen. Das Zentrum bietet zudem Gespräche, therapeutische Beratung und, nach der Operation, Physiotherapie. Man kann die Sanftmut der Pfleger nur bewundern, ihren täglich ungebrochenen Willen, die zum Tode verurteilten Gliedmaßen wieder zum Leben zu erwecken.

 

Viele Patienten haben einen »attendant«, einen Familienangehörigen, der als zusätzliche Aushilfskraft im Zentrum kostenlos wohnen und essen darf. Ich spreche mit Salim, einem einfachen Afghanen, der neben seinem Sohn, Tetraplegiker, am Krankenbett sitzt. Nein, alles sei in Ordnung, versichert er standhaft. Und mit Allahs Hilfe werde man bald in die Heimat zurückkehren. Er lächelt.

 

Kurz darauf kann ich für Augenblicke Salims Gesicht betrachten. Er glaubt sich unbeobachtet. Es scheint mir jetzt wahrer und wirklicher: das Gesicht eines Vaters, der mit auswegloser Traurigkeit auf das geschlagene Leben seines Kindes starrt.

 

Auf dem Weg hinaus vorbei an der Werkstatt für Rollstühle. Fleißiges Hämmern. Abschied von Dr. Afridi. Ihm verdanke ich eine Lehrstunde über den Hass zwischen den Menschen und ihre Fähigkeit zur Liebe.“