Leseprobe

Motti: 

Stanisław Jerzy Lec:
Die Muttersprache ist das Vaterland der Schriftsteller.

Eric Burdon:
Jeder braucht ein Anderswo.

Mahmoud Darwish:
Ich lernte alle Wörter und habe sie alle zerteilt, um ein einziges Wort zu schaffen: Heimat.

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Widmung:
Das Buch gehört meinen Freunden. Die es noch immer mit mir aushalten. Sie haben so vieles, was mir fehlt. Was sie mich nie spüren lassen, ja, sie benehmen sich, als wäre ich ihnen ebenbürtig. Das schaffen nur sie. Manche tun so, als würden sie mich brauchen. Das ist der Gipfel von Wertschätzung. Der Teufel soll mich holen, sollte ich je die Freundschaft verraten, ach, nicht zur Stelle sein, wenn einer von ihnen um Hilfe ruft.

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Inhalt

Vorwort

Das Glück des Augenblicks: Galway

Deutschland

Das Glück des Augenblicks: Sahara

Musik

Das Glück des Augenblicks: München

Sprache

Das Glück des Augenblicks: New York

Freunde

Das Glück des Augenblicks: New Delhi

Heimat

Das Glück des Augenblicks: Wien

FRAUEN – Männer – Liebe

Das Glück des Augenblicks: Hanoi

Tiere

Das Glück des Augenblicks: Brazzaville

Zen

Das Glück des Augenblicks: Mexico City

Körper

Das Glück des Augenblicks: Paris

Menschen

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Vorwort

Wenn man eine Liebe an die Wand fährt, findet man – hoffentlich – eine neue. So ähnlich sollte man beim Verlust der Heimat handeln: Will man sie loswerden, weil die Erinnerung an sie wie Schlangengift das Herz verseucht, so desertiere man und suche sich eine andere Unterkunft, eine andere, brandneue Heimat.

       Leicht gesagt, ich weiß. Die einen gehen mit einem Freudenschrei, die anderen tränenüberströmt. Von allen soll erzählt werden.

      Für mich war Blut nie dicker als Wasser. Bin ich doch ein Meister im » Cut «-Sagen, einer, der unwiderruflich Frauen und Männer und Orte aufgibt, wenn sie mir nicht mehr guttun. Oder ich ihnen. Sie weder im Kopf noch im Bauch gehobene Stimmung auslösen, so ein Gedankensprühen, so ein romantisches Ziehen im Solarplexus. Bin selbst dann davon, wenn das Bleiben mir materielle oder sinnliche Boni verschafft hätte, Genüsse wie Wohlstand oder erotische Zuwendung.

     Ich bin sogar der eigenen Familie entlaufen, von der Verwandtschaft gar nicht zu reden. Immer von der rüden Überzeugung getrieben, dass ich in ihrer N.he nicht vom Fleck komme, dass mein Hirn stillsteht, ja, schlimmer, dass es schrumpft, weil weit und breit nichts blüht, was es nährt. Ja, Flucht muss sein, da ich jeden Morgen mit dem bedrohlichen und gewiss anspornenden Gedanken aufwache, dass ich nur ein einziges verdammtes Leben habe. Somit k.me mir jedes Verweilen an „Stellen“, an denen kein Leben stattfindet, wie eine Todsünde vor. Wie trefflich das Wort, denn bliebe ich, versündigte ich mich schwer an mir selbst.

       Kann einer das Leid noch zählen, das sich seit Millionen Jahren – pyramidal – anhäuft: weil Leute nicht voneinander loskommen? Oder hocken bleiben an Plätzen, die sie täglich n.her an den Abgrund treiben. Oder sie, diskret und unspektakulär, in die so verschwiegene Depression der Ausweglosigkeit manövrieren. Wie sagte es Perikles, der siebengescheite Grieche: „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit. Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“ Ohne den geht es nicht. Ein mutloses Leben? Das klingt schauerlich.

      Jedes Fortgehen – ganz gleich, von wem und von was – braucht Schneid. Manchmal ein bisschen, manchmal ein bisschen viel. Eine neue Heimat – oder ein neuer Mensch: lauter unbekannte Kontinente. Wer kein Glück hat, fährt mitten hinein in sein nächstes Unglück.

     Die Angst ist da. Deshalb muss Courage her. Meist wird sie den Mutigen belohnen. Mit der unbändigen Freude, dass er sich getraut hat. Und der wunderlichen Einsicht, dass kein Desaster wartet, sondern Aussichten auf ein innigeres Leben: upgraded, nach oben befördert, da, wo es sich freier atmet, da, wo weder Schwunglosigkeit noch Bore-out die Wirklichkeit ersticken.

      Ich darf hier mitreden. Ich erblickte die Finsternis der Welt in einer Brutstätte aus Bosheit und Bigotterie und landete – über dornenreiche Umwege und Irrläufe – irgendwann in Paris: The City of Lights. Ich wüsste keinen schöneren Landeplatz auf Erden.

     Ob Paris als Heimat taugt? Oder benötige ich – ich wäre nicht der Einzige – mehrere, ja, viele » Dinge «, die man Heimat nennen könnte? Die Antwort ist so einfach: bestimmt! Die Behauptung gilt umso mehr für jene, die ihre » natürliche « Heimat verließen, verlassen mussten. Aus Überdruss, aus Furcht zu verkümmern, aus Sorge ums Leben, aus Liebe, aus Hass, was weiß ich.

     Heimat – was das magische Wort auch bedeuten mag – muss sein. Der Mensch braucht Lichtquellen, einen Kreis, dessen Teil er ist, Sprache, die ihn behütet, andere Sterbliche, deren Nähe ihn stärkt, eine Gesellschaft, deren Vereinbarungen er grundsätzlich bejaht, eine Wohnung, in die er sich vor dem Rest der Menschheit zurückziehen darf.

     Ein unendliches Buch müsste man schreiben, um alles zu benennen, was heimatliche Empfindungen auslösen könnte. Mir reicht keine Stadt, kein Land, ich suche überall auf dem Globus nach etwas, an das ich den Sticker » Heimat « kleben kann. Jeder Fund beruhigt mich in einem Universum, durch das wir mit 107 000 Kilometern pro Stunde rasen. Eher ziellos, eher verloren. Und da ich an eine himmlische Heimstatt mit einem Himmelsherrscher mittendrin nicht glaube, mir diese ultimative Heimat stets als Hirngespinst erschien, bleibt mir nichts als die Erde und ihre Bewohner. Hier muss ich heimisch werden. Gelingt mir das, bin ich das geworden, was mir als Traum seit meiner Jugend durch den Kopf schwirrt: ein Weltbürger. Das wäre einer, der in der Welt zu Hause ist.

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